Nearshore Softwareentwicklung: Was ist das?
Die Nearshore Softwareentwicklung ist die Auslagerung von Entwicklungsarbeiten in Länder der unmittelbaren Umgebung.
Sie grenzt sich insofern von der Offshore Softwareentwicklung ab, die schon sehr lange gängig ist. Dabei werden die Arbeiten in Staaten wie Indien mit einem ganz anderen Lohngefüge ausgelagert. Die Kosten sind dabei niedrig, doch es entstehen auch Probleme, welche die Nearshore Softwareentwicklung überwinden kann.
Warum gibt es generell eine Offshore und Nearshore Softwareentwicklung?
Es gibt in einigen Ländern eine sehr hoch entwickelte technische Kultur, welche die dortigen Softwareentwickler an die Weltspitze gebracht hat.
Indien ist ein gutes Beispiel, doch es gibt noch weitere Staaten. In Indien basiert die hochgradige Expertise der Entwickler zu großen Teilen auf der dort schon in den unteren Klassenstufen gelehrten Mathematik, die sehr in die Tiefe geht und dem westlichen Verständnis offenkundig überlegen ist.
So kommunizieren es jedenfalls indische Experten auf Nachfrage. Gleichzeitig verdienen indische Entwickler bei allem Können nicht die Stundensätze ihrer Kollegen in Europa, Nordamerika, Japan oder Australien.
Es liegt also nahe, im Rahmen der Offshore Softwareentwicklung Projekte dorthin auszulagern: Die Ergebnisse sind schnell, gut und günstig zu haben. Die Offshore Softwareentwicklung bringt im Überblick diese Vorteile mit sich:
- Kostensenkung
- hohe Qualität, Qualitätssicherung nach westlichen Standards
- globaler Talentepool für alle Bereiche der Softwareentwicklung, auch für sehr spezielle Projekte
- Skalierbarkeit der Aufträge durch die Kooperation mit flexiblen Anbietern
- Zeitzonenvorteile durch Projektarbeit rund um die Uhr (siehe aber auch: Zeitzonennachteile)
Viele dieser Vorteile gelten freilich auch für die Nearshore Softwareentwicklung. Westliche Firmen hatten lange Zeit die indischen Programmierer auf dem Radar, doch es gibt beispielsweise im EU-Staat Rumänien ebenfalls eine sehr gut entwickelte Szene.
Nachdem in den letzten Jahren einige Probleme der Offshore Softwareentwicklung offenkundig wurden, orientierten sich immer mehr Unternehmen im Nahbereich und setzen seither verstärkt auf die Nearshore Softwareentwicklung.
Welche Probleme kann eine Offshore Softwareentwicklung mit sich bringen?
Es leuchtet ein, dass die Kooperation über Entfernungen von mehreren Tausend Kilometern und in verschiedenen Zeitzonen auch Probleme mit sich bringt. Schauen wir sie uns an:
- Zeitzonennachteile für die direkte telefonische Kommunikation (eine von beiden Parteien muss nachts telefonieren)
- kulturelle Barrieren
- persönliches Kennenlernen auf Jahre praktisch nicht möglich (wegen der Entfernung)
- eventuelle Missverständnisse aufgrund sehr unterschiedlicher Standards in der Projektarbeit
- Sicherheitsrisiken wegen der Datenauslagerung in Staaten mit gänzlich anderen Datenschutzvorschriften
- Gefahr des Diebstahls von geistigem Eigentum (besonders in China, aber beispielsweise auch in Vietnam)
Es liegt nahe, dass aufgrund dieser Probleme Unternehmen verstärkt daran denken, ihre Entwicklungsarbeit nearshore betreiben zu lassen, auch wenn damit der wichtigste Vorteil der Offshore-Dienstleistungen entfällt: Große Einkommensunterschiede zwischen rumänischen und deutschen Entwicklern gibt es kaum.
Wie funktionieren die Nearshore Projekte?
Nachdem wir die Probleme beim Offshore-Outsourcing betrachtet haben, schauen wir uns an, wie Entwicklungsarbeit nearshore funktionieren kann.
Grundsätzlich ist Nearshoring ein Mittelweg: Immer noch lassen sich Kosten senken, wenn auch längst nicht so stark wie beim Offshoring, gleichzeitig verschwinden einige gewichtige Nachteile.
Nearshore arbeiten Experten aus europäischen Nachbarländern für ein inländisches Unternehmen. Es gibt dadurch weder Zeitzonenprobleme noch größere kulturelle Unterschiede oder gar Datenschutzprobleme: EU-Anbieter unterliegen der DSGVO.
Die häufigsten Gründe, Arbeiten nearshore auszulagern, sind diese:
- keine Probleme mit der mündlichen Kommunikation durch die Arbeit in derselben Zeitzone
- keine Probleme mit dem Datenschutz durch die Richtlinien der DSGVO
- verlässliche europäische Qualitätsstandards
- wenig Sprachprobleme
- persönliche Kontakte durch geografische Nähe möglich
- gleichzeitig gewisse Kosteneinsparungen
Wie hoch die Kosteneinsparungen ausfallen, hängt vom Einzelfall ab. Grundsätzlich liegen die Tarife in Osteuropa niedriger als in Mittel- und Westeuropa. Es können Einsparungen von 10 bis 30 Prozent sein – je nach Land und speziellem Anbieter.
Hinzu kommen die generellen Vorteile des Outsourcings, das grundsätzlich kostengünstiger ist als die Festanstellung von Mitarbeitern.
Ein weiterer Vorteil ist sehr oft die etwas höhere technische Expertise in einigen osteuropäischen Ländern. Bekannt ist das von Entwicklern aus diesen Staaten:
- Rumänien
- Ungarn
- Polen
- Ukraine
Die Ukraine gehört nicht zur EU und unterliegt daher auch nicht der DSGVO, doch selbstverständlich gibt es dort ebenfalls Datenschutzstandards.
Die ukrainischen Entwickler gelten in Osteuropa als führend. Auch russische Experten genießen einen ausgezeichneten Ruf, doch die Kooperation mit ihnen verbietet sich seit 2022.
Eine weitere sehr ausgeprägte Entwicklerszene gibt es in den baltischen Staaten, die hinsichtlich der Digitalisierung europäische und weltweite Vorreiter sind. Estland beispielsweise hat schon vor Jahren seine Verwaltung und Bürgerdienstleistungen, ja sogar die Wahlen vollkommen digitalisiert. Das funktioniert nur, weil es dort hervorragende Programmierer gibt.
Wie lässt sich eine Kooperation mit IT-Spezialisten nearshore realisieren?
Es gibt für das Recruiting von Entwicklern im umgebenden Ausland drei Wege:
- #1 Eigenakquise über das Internet
- #2 Kooperation mit spezialisierten Recruitern bzw. Headhuntern im Inland (Deutschland, Österreich, Schweiz)
- #3 Kooperation mit verlässlichen Partnern in den Ländern vor Ort
Alle drei Wege bieten Vor- und Nachteile. Firmen, die selbst über das Internet Fachkräfte suchen, sparen Vermittlungskosten. Sie kennen aber auch den mühseligen Auswahl- und Bewerbungsprozess, was nicht bedeutet, dass dies nicht funktioniert.
Es kann nur sehr aufwändig sein. Inländische Recruiter für diesen Bereich gibt es durchaus, allerdings ist darauf zu achten, dass sie tatsächlich die Kontakte und auch die Expertise für den Job mitbringen. Firmen in den Ländern vor Ort sind dichter am Geschehen und sprechen die Sprache der anzuwerbenden Spezialisten, doch hier ist die Zuverlässigkeit des HR-Unternehmens schwer zu überprüfen.
Außerdem möchte man sich mit niemandem in einem anderen Land juristisch auseinandersetzen, wenn es trotz Zahlung zu Leistungsproblemen kommt.
Es bleibt zu vermerken: Ein zuverlässiger Personalvermittlungspartner bietet die Basis für so eine Anwerbung. Er sollte Referenzen mitbringen und einen Zeitrahmen nennen können, in welchem er brauchbare Talente zu einem guten Tarif findet. Als Standard gelten bei den Zeitvorgaben einige Tage bis höchstens wenige Wochen.
Fazit zur Nearshore Softwareentwicklung
IT-Entwickler in benachbarten Ländern anzuwerben bringt zwar nicht den großen Kostenvorteil wie bei Experten aus Asien, dafür aber viele Vorteile in der unmittelbaren Zusammenarbeit.
Die kulturellen Unterschiede sind sehr klein, Telefonkonferenzen können zur gewohnten Arbeitszeit beider Parteien stattfinden. Es ist wichtig, sich für diese Art der Personalbeschaffung einen zuverlässigen Partner zu suchen.
Interessante Links:
Mehr zu Nearshoring auf Wikipedia
Eine Definition auf dem Wirtschaftslexikon von Gabler
Bilder: Canva